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Erstellt am Samstag, 19. November 2011 14:32
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Geschrieben von Samuel Degen
Und wieder gab es in unserem Dorf Stupferich die Möglichkeit, eine hochkarätige Veranstaltung im Gemeindezentrum zu besuchen.
So veranstaltete am gestrigen Freitagabend der CDU Ortsverband Stupferich in seiner Kulturreihe „Stupfericher Lebens-Art“ einen besonderen Abend unter dem Titel: „Afghanistan, Deutschlands verdrängter Krieg“. Hut ab vor dem Mut des Veranstalters, so ein schwieriges und umstrittenes Thema hier öffentlich zu präsentieren und zu diskutieren.
Kein geringerer als der 43-jährige Stupfericher Markus Hirschmann referierte zu diesem Thema. Vielen bis Anfang der 90er Jahre noch bekannt als junger Kicker bei der SG unter seinem ihn disziplinarisch prägenden Trainer Schorsch Heckenbach. Aber auch jahrelang aktiv als Ministrant bei der kath. Jugend Supferich - für ihn Werte, die blieben.
Dann aber zog der junge Markus aus der Gerberastraße aus und machte Karriere, studierte Staats- und Sozialwissenschaften und ist nun im hohen militärischen Range eines Oberstleutnants Hörsaalleiter bei der Bundeswehr an der Offizierschule des Heeres in Dresden.
Seine fachliche und menschliche Führungskompetenz war in allen Teilen seines eindrucksvollen Vortrages zu spüren. Hunderte von sorgsam und plakativ aufbereiteten Powerpoint Folien führten die zahlreichen Zuschauer tief in die fremde Materie, die in dieser Qualität und Inhaltlichkeit noch niemand zuvor gesehen hatte. Er sprach rhetorisch druckreif und zeigte ein profundes Detailwissen über das Land Afghanistan und seine Geschichte, das die Zuschauer im Saal mehr als verblüffte. Man hörte quasi die Stecknadel fallen, so konzentriert hingen alle an seinen Lippen und betrachteten geradezu fasziniert seine zahlreichen Grafiken und Bilder.
Auch viele an der Weltpolitik interessierten Lokalpolitiker nahmen diese einmalige Gelegenheit wahr, sich über die zeitgeschichtlich so bedeutenden Vorgänge in Afghanistan aus 1. Hand zu informieren, aber auch um den Besuch des Stupfericher Oberstleutnants Markus Hirschmann zu würdigen. So fanden die Stadträte Tilmann Pfannkuch und Johannes Krug den Weg zu uns nach Stupferich verstärkt von unseren Ortschaftsräten Ingeborg Donecker, Ludwig Kast, Klaus Abendschön, Jochen Nagler sowie der ehem. Ortsvorsteherin Hanne Langer.
Hirschmann sprach über den Sowjetisch-Afghanischen Krieg 1979-1989, von der „Sozialistischen Internationalen gegen den imperialistisch kapitalistischen Aggressor“ und der „Sozialistischen Waffenbrüderschaft“. Der Guerillakrieg gegen die Sowjetunion habe das gleiche Strickmuster wie der aktuelle gegen die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe, besser bekannt als die ISAF.
Viele Millionen Muslime leben in der ehem. UDSSR, Russland und China, maßgebliche Einflussfaktoren für die Kriege in Afghanistan. Zusammenhänge, Verstrickungen, Beziehungen, er erklärte verständlich und beantwortete engagiert auch die vielen Fragen aus dem Publikum.
Welche Einflüsse hat Saudi Arabien, welchen die USA? Warum kaufen die USA die hochgefährlichen Fire & Forget Waffen „Stinger“ von den Taliban zum Stückpreis von 650.000 US Dollar zurück, die sie zuvor den Mudschaheddin während des Sowjetisch-Afghanischen Krieges geschenkt hatten? Was ist Gotteskriegertourismus? Wie kam es zum Afghanischen Bürgerkrieg 1989-2001? Was geschah zwei Tage vor dem 11. September 2001 in Afghanistan? Welche Rolle spielten hierbei die Stämme, Fürsten, Krieger und Politiker? Nach welchem Muster läuft das uralte Gebot der Blutrache und des Gastrechtes, das es sogar den ISAF Soldaten ermöglicht, unter Taliban Beschuss in eine Moschee zu gehen und das Gastrecht einzufordern?
Der Artikel Nummer 5 des Natovertrages führte am 11. September 2001 zum Bündnisfall, er erklärte hierzu das Bonner Abkommen und die Petersberger Beschlüsse. So kam es laut Hirschmann 2001 auch zur Aussage von Peter Struck „Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“.
1, 5 Mio Tote während des Bürgerkrieges sind bei den Afghanen, die im Schnitt 44 Jahre alt werden, nicht vergessen. 20% der Kinder werden keine 5 Jahre alt, die 76% Analphabeten im Land geben ihre Geschichte und Erfahrungen nach alten Sitten weiter.
Hirschmann nimmt das Publikum mit durch die Geschichte und dann auch auf seinen Einsatz, der ihn vom Juli 2010 bis zum Januar 2011 vor Ort als Ausbilder Afghanischer Offiziere auch mehrmals an den Rand des Todes geführt hat. Freunde sind neben ihm gefallen, seinen Kindern und seiner Frau bleibt er Nachts mit gemeinsamem Blick auf einen vereinbarten Stern am Himmel eng verbunden.
Wochenlang hat er sich auf diesen Stupfericher Vortrag in mehreren hundert Arbeitsstunden vorbereitet. Das ist zu spüren, die Tiefe, Genauigkeit, verblüffende Ehrlichkeit und Offenheit ehren Hirschmann geradezu.
Papa geht nach Afghanistan - seine Lebensversicherung steigt aus - Astronautennahrung in Größe einer Streichholzschachtel immer am Mann, Hirschmann spricht und spricht. Auch von den 10.000 gefallenen ISAF Kameraden. Auch von dem am Straßenrand angebundenen Esel, der ihm auffiel. Er lässt anhalten, hier sind nie Esel angebunden. Sein Schuss auf das Tier bestätigt seinen Verdacht, die geschätzten bis zu 200 ins Tier geschobenen Kilogramm Sprengstoff lassen einen Huf mehr als 100 Meter weit fliegen. Grausam, die Funkfernsteuerung des Zünders kam von der Firma Conrad in Hirschau in der Oberpfalz.
Kein Soldat bleibt zurück, in 20 Minuten sind die Helikopter da. Amerikanische, Deutschland kann da nicht mit. Er beklagt den mangelnden Ausrüstungsstand unserer 5350 Soldaten.
Der Themen viele, er bleibt keine Antwort schuldig.
90% des Heroins auf dem Weltmarkt stammen aus dem Opiumanbau in Afghanistan. Krieger werden gegen Bezahlung als Söldner verpflichtet, auch von der ISAF. So verweigert Omar plötzlich den Kampfeinsatz, er hat beim Gegner seinen dort verpflichteten Bruder entdeckt. Soldaten gehen zur Wallfahrt nach Mekka, die ISAF zahlt. So gut wie jegliche Infrastruktur im Land ist zerstört, die Menschen leben im Elend. Wir erfahren von Tageskriegern, die Dienstags ihr Feld bestellen, Mittwochs gegen einen Sold von 100 US Dollar für die Taliban kämpfen um dann Donnerstags wieder auf ihrem Feld zu stehen. Der Wahnsinn, der Schrecken, die Fratze des Krieges wird mehr und mehr sichtbar.
Und dann, es ist schon weit nach 23 Uhr, vor immer noch vollem Hause, sein Zweifel, ob es klug war, durch die Ankündigung des totalen Rückzuges der ISAF in 2014 das Land den Taliban wieder preiszugeben. Alles vergeblich, die unzähligen Toten, die Mädchenschulen, die ärztliche Versorgung. Seiner Einschätzung nach steht das Land dann binnen weniger wie einem Jahr wieder da, wo es vor 2001 stand. Vermutlich noch grausamer, zur Scharia paart sich der Hass und die Rache der Taliban. Es bräuchte hingegen eine Generation, also 25 Jahre, den Krieg zu vertreiben, aus den Köpfen der Menschen, die nie etwas anderes erlebt haben.
Großen Dank gebührt dem Sohne Stupferichs Markus Hirschmann, der gestern heimgekehrte, um uns an seinen Erfahrungen und excellenten Kenntnissen teilhaben zu lassen. Nie zuvor gab es für uns Zivilisten die Gelegenheit, derart tief hinter die Kulissen dieses herrlichen Landes und seiner grausamen Kriege zu schauen. Darin waren sich alle Gäste des Abends einig, der Beifall war grandios.
Genaue Pläne und Grafiken werden gezeigt und erläutert
Fotos: Samuel Degen
Oberstleutnant Markus Hirschmann
Das Publikum ist hochkonzentriert
CDU Ortsverbandsvorsitzender Klaus Abendschön bedankt sich bei Oberstleutnant Markus Hirschmann für den beeindruckenden Vortrag